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Am 14. September in Köln

Weltwirtschaft und ökologische Konsequenzen - Die WTO - Einbahnstrasse der gesellschaftlichen Entwicklung

Birgit Mahnkopf



Wir sind hier versammelt, nicht weil wir die Globalisierung rückgängig machen wollen. Doch mit der Form von Globalisierung, die wir seit Beginn der 1990er Jahre erleben, wollen und müssen wir uns nicht abfinden. Das ist die "corporate globalisation", die weltweite Integration von Märkten einzig und allein im Interesse von transnationalen Unternehmen und Akteuren der Finanzmärkte. Diese Art der Globalisierung führt zu wachsender sozialer Ungleichheit, zu Finanz- und Wirtschaftskrisen, die ganze Gesellschaften in den Abgrund stürzen, zu politischer Destablisierung, zu einer Gefährdung der Demokratie und vor allem zu einer Verschärfung der ökologischen Krise.

Globalisierung ruft Widerstand hervor, wenn sie nicht mit der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, mit der Achtung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten, mit einem Zuwachs an Lebenschancen und mit der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen einhergeht. Daher ist globaler Wettbewerb nur in dem Maße hinnehmbar, wie er zwei andere, höherwertige Ziele nicht gefährdet: globale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Diese Ziele lassen sich nur mit Hilfe weltweiter Institutionen verwirklichen, durch Regeln und Gesetze, die das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft in demokratischer Weise gestalten. Doch die existierenden Institutionen, die eine nahezu globale Reichweite haben, sind dazu aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage: Die Organisationen des UN-Systems, das noch am ehesten demokratischen Ansprüchen genügt, sind vornehmlich mit Fragen nachhaltiger Entwicklung, mit politischen und sozialen Menschenrechten befasst. Die "harten" ökonomischen Fragen werden hingegen außerhalb des UN-Systems, in den Bretton Woods Institutionen (IWF, WB) und v. a. in der WTO behandelt, in Institutionen, die allesamt der neoliberalen Ideologie verpflichtet sind. Außerdem weisen diese Institutionen erhebliche interne Demokratiedefizite auf und zugleich beschneiden ihre Beschlüsse die Autonomie nationaler Regierungen. Insbesondere von der WTO gehen große Gefährdungen für die Demokratie aus. Nur wenige deutsche Wähler, die in einer Woche über eine neue Bundesregierung entscheiden, dürften wissen, dass die derzeit laufenden Verhandlungen über die Liberalisierung der Dienstleistungen im Rahmen des GATS viele Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge zum Spielball kommerzieller Interessen machen. Auch die meisten Parlamentarier wissen vermutlich nicht, wie sehr ihre politischen Entscheidungen und selbst die künftiger Regierungen durch WTO-Verträge beschnitten werden.

Die WTO ist keine politisch neutrale Organisation von Experten, die über technische Details des Welthandels befinden. Sie ist das Sprachrohr transnationaler Unternehmen und deren einflussreicher Lobbyorganisationen. Die "global player" der Geschäftswelt wünschen weltweit gleiche Rahmenbedingungen für ihre Produktions- und Marketingaktivitäten; sie sind es, die die Hindernisse definieren, die dem grenzüberschreitenden Austausch von Gütern und Dienstleistungen entgegenstehen. Daher haben sie nicht nur an der Schaffung und Ausgestaltung der WTO maßgeblich mitgewirkt; sie nehmen auch direkt und indirekt Einfluss auf die laufenden WTO-Verhandlungen. Ihnen geht es darum, ohne gesetzliche Hindernisse ihren Geschäften nachgehen zu können und deshalb bestehen sie darauf, dass Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards als nicht handelsrelevante Themen betrachtet werden.

Der WTO-Vertrag ist ohne öffentliche Anhörung und öffentliche Diskussion unterzeichnet worden - obwohl er über den Verfassungen der Mitgliedsländer steht; obwohl er nationales und EU-Recht außer Kraft setzt; obwohl er internationale Abkommen (wie die Erklärung der Menschenrechte oder die Agenda 21 der Rio-Konferenz) unterminiert und multilaterale Umweltabkommen verletzt. Das WTO-Recht wird mit den Verhandlungen zum GATS fortentwickelt, obwohl es schon heute derart komplex ist, dass noch nicht einmal die Verhandler selbst es in seiner ganzen Breite überschauen. Die WTO-Verträge enthalten Ungleichgewichte zu Ungunsten der Länder des Südens, obwohl sie gravierende Auswirkungen auf die Entwicklungsperspektiven gerade dieser Länder und hier insbesondere der Frauen haben.

Eine umfassende Reform der WTO und ihrer handlungsleitenden Prinzipien ist schwer vorstellbar, denn Änderungen am WTO-Vertrag sind nur einstimmig möglich. Selbst wenn es in einzelnen nationalen Parlamenten zu einer hundertprozentigen Mehrheit dafür käme, eine bereits erfolgte Deregulierungsmaßnahme rückgängig zu machen, wäre dies innerhalb des WTO-Systems nicht möglich. Denn danach ist nur eine Art der Entwicklung erlaubt: in Richtung auf eine noch weitergehende Deregulierung. Die WTO ist also eine Einbahnstrasse der gesellschaftlichen Entwicklung, an deren Ende weder globale Gerechtigkeit noch ökologische Nachhaltigkeit zu erwarten sind. Die neoliberalen Prinzipien der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung stehen dabei über allen anderen möglichen Wert- und Entscheidungsgrundlagen. Die Menschen in den Industrieländern werden dies vor allem an den Folgen der derzeit laufenden Verhandlungen über die Liberalisierung der Dienstleistungen erfahren.

Das GATS ist ein anderer Begriff für den Rückzug des Staates aus der Gesellschaft; für die Entmündigung gesetzgebender Institutionen; für die Gefährdung der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Bildung, Gesundheit oder audivisuellen Diensten und für die Deregulierung von Gesetzen, die zum Schutz von Arbeitnehmern erlassen wurden. Mit dem GATS verzichten wir auf Demokratie, soweit darunter zu verstehen ist, dass die Menschen innerhalb des Territoriums, auf dem sie leben, souverän über die zukünftige Entwicklung ihrer Gesellschaft entscheiden können. Das GATS schafft die Grundlagen für die Privatisierung und Kommerzialisierung von allem und jedem. Nach der Liberalisierung und Deregulierung von gesellschaftspolitisch bedeutsamer Basisdienstleistungen werden viele einkommensschwächere Gruppen der Gesellschaft Gemeingüter, die heute noch öffentlich bereit gestellt werden, nicht mehr in hinreichender Quantität und Qualität zur Verfügung haben. Wie die WTO an ganzes so ist das GATS einzig für den Ausschluss handelshemmender Wirkungen von Regulierungsmaßnahmen und nicht für deren soziale oder ökologische Folgen zuständig. Im Konflikt zwischen freiem Marktzugang für Unternehmen und ökologischen Belangen oder Menschen- und Arbeitnehmerrechten siegt immer der freie Handel. Daher trägt die WTO in ihrer derzeitigen Form nicht zu einer Lösung sondern eher zu einer Verschärfung der drängenden globalen Probleme bei. Reicht es also aus, wenn wir fordern, öffentliche Dienstleistungen und v.a. die Versorgung mit dem Lebensgut Wasser müssten durch gesetzliche Schritte aus dem GATS herausgenommen werden? Sollten wir das Augenmerk auf das gewaltige Demokratiedefizit der WTO lenken und die Beteiligung von Parlamentariern, Öffentlichkeit, Umweltexperten, Arbeitnehmerorganisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft in den Entscheidungsprozessen fordern? Oder ist es nicht eher so, dass die Zielsetzungen der WTO grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen?

Selbstverständlich brauchen eine globale Institution für die immer enger zusammenwachsende Weltwirtschaft. Doch sollte eine solche Organisation:
·Teil des UN-System sein und wie alle anderen Organisationen der Völkergemeinschaft rechenschafts- und berichtspflichtig.
·Sie müsste dafür sorgen, dass die Preise von Gütern und Dienstleistungen die tatsächlichen Kosten des internationalen Verkehrs wiedergeben, darin eingeschlossen all die Kosten, die bislang auf die Gesellschaften abgewälzt werden (z.B. in Form von krankmachenden Arbeitsbedingungen oder nicht existenzsichernden Löhnen) oder auf die Umwelt.
·Dazu ist es nötig, dass die unveräußerlichen Menschenrechte, die international gültigen und national geltenden Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und Konsumentenrechte über die WTO-Prinzipien gestellt werden. Ökologische und soziale Standards für Exportgüter sollten deshalb verbindlich und sanktionsfähig gemacht werden. Transnational operierenden Unternehmen wäre eine Rechenschaftspflicht hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Ressourcenverbrauchs in den von ihnen abhängigen Zuliefererbetrieben aufzuerlegen.
·Es wäre Aufgabe einer Weltwirtschaftsorganisation neuen Typs, Wasser und alle Formen des Lebens von den Handelsregimen auszuschließen.
·Sie müsste das Recht auf Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln höher gewichten als die Liberalisierung des Agrarhandels.
·Standards eines Landes, die dem Schutz von Umwelt, Arbeitnehmern oder Konsumenten dienen, dürften nicht in Frage gestellt werden, so lange sie für inländischen und ausländische Produzenten gleichermaßen gelten.
·Die Konsumenten sollten ein Recht darauf haben, zu erfahren, wo die Waren herkommen, welche Stoffe sie enthalten, womit und wie sie produziert wurden.
·Dass Vertreter der Zivilgesellschaft direkt in die Entscheidungsprozesse einer Weltwirtschaftsorganisation neuen Typs einzubinden wären, versteht sich fast von selbst.

Wir brauchen eine solche Organisation und zwar innerhalb des UN-Systems; eine Organisation, die für die Regulierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zuständig ist - und nicht, wie die WTO, für die Deregulierung der globalen Ökonomie. Um aus dieser Sachgasse der gesellschaftlichen Entwicklung heraus zu kommen, braucht es vor allem den Druck sozialer Bewegungen, im Norden wie im Süden - gegen die "corporate globalisation" und ihre Normen des freien Marktes, des privaten Eigentums, der Kommerzialisierung öffentlicher Gemeingüter und die Institutionalisierung von Wissensmonopolen.

Birgit Mahnkopf Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik an der FH für Wirtschaft in Berlin. Sie ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac, in der Grundwertekommission der SPD sowie im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Sie ist Redakteurin und Herausgeberin der Zeitschrift PROKLA.